2000 - Einweihungsfeier
Schullandheime - Abenteuer liegen oft ganz nah
Hamburgs ältestes Haus in Hoisdorf nach Sanierung wieder in Betrieb - In dem Reetdachhaus werden Erinnerungen wach
Von Deborah Knür
Weißt du noch, damals? Es war an einem dieser früher noch nicht so seltenen lauen Spätsommerabende. Der Tag war dabei, sich zu verabschieden, und die alte Kate warf schon einen beachtlichen Schatten, der Schutz bot vor den argwöhnischen Augen der Lehrer. Man wollte ein Mal richtig cool sein, so wie der Cowboy, der im Kino immer über die Leinwand ritt. Aber der Tabak war stark. Und das Husten und das Würgen, das war dann irgendwie gar nicht so cool, und danach tat man es auch nie wieder, was aber nichts machte, weil eben nur dieser eine Moment zählte. Das erste Mal eine Zigarette in der Hand und mit ihr die Illusion, der Glimmstängel mache einen erwachsen, die sich in Luft auflöste, als der Lehrer um die Ecke kam.
Erinnerungen an eine Kindheit, eine glückliche (nicht der Zigarette wegen) und Erinnerungen an eine Reise in ein Schullandheim, so wie auch das in Hoisdorf eines ist, das am Donnerstag nach vierjähriger Sanierung wieder in Betrieb genommen wurde. Es ist Hamburgs und wohl auch Deutschlands ältestes in seiner ursprünglichen Form bestehende Schullandheim und steht Gruppen aller Schulen offen. Es sei gar nicht mehr so einfach, mit Schülern in der modernen Zeit ins nahe Umland zu reisen, sagte Senatorin Karin Roth bei der Übergabe an den Schulverein des Stellinger Albrecht-Thaer Gymnasiums, dem das 1856 gebaute und heute denkmalgeschützte Reetdachhaus gehört. "Viele glauben nämlich, das Abenteuer liege immer weit weg", so Roth. Oh, wie sie irren! Die wahren Abenteuer sind meistens ganz nah.
Weißt du noch, damals? Die Nachtwanderung durch den finsteren Wald. Das Knacken bei jedem Schritt über die getrockneten Zweige und die Gewissheit, im Schein der Taschenlampe werde gleich ein Gespenst, ein unechtes natürlich, hinter dem Baum hervorspringen. Und dann der Schreck, als es tatsächlich sprang und wirklich so unecht war, wie die Angst. Aber wenn man Glück hatte, wurde man ja ab da von einem mutigen Klassenkameraden beschützt, und wenn man viel Glück hatte, von einem, den man ziemlich gut fand.
Schullandheime, so wie das "Holstentor" in Hoisdorf seien eine alte und gute Form, Solidarität und Gemeinschaft zu lernen, sagte Karin Roth, die diese Erziehung einst selbst genossen hat. Küchendienst zum Beispiel war damals und ist noch heute eine (bei Lehrern) beliebte Form. In Hoisdorf allerdings erleichtern nach der rund zwei Millionen Mark teuren Sanierung moderne Einrichtung und Technik in dem alten Gemäuer des Peemöllerhofs das Abwaschen. Gegenüber dem Reetdachhaus steht das Wirtschaftshaus mit Küche und Speisesaal, das wie auch die Zimmer im Haupthaus Platz bietet für 74 Gäste aus verschiedenen Bundesländern. Ja, die Zimmer...
Weißt du noch, damals? Im Nachhinein gibt man zu, schmunzelnd zwar, was man damals gar nicht einsehen wollte: Ja, es war schon spät in der Nacht. Aber irgendwie war es auch ein Sport, und dann war da noch der Reiz des Verbotenen. Die Zimmer der Jungen auf der rechten Seite des Gangs, die der Mädchen auf der linken. Und der Lehrer auf der Treppe. Die Genugtuung der Jungs (das war im Vor-Big-Brother-Zeitalter alles noch anders), wenn sie einen unbeachteten Moment erwischten und zu den Mädchen ins Zimmer huschen konnten. Und dann das Herzklopfen der Mädchen, wenn der Lehrer draußen über den Gang schritt und sie die Jungs unter ihren Bettdecken versteckten. Je netter der Junge, desto größer das Klopfen.
In Hoisdorf stehen die Betten noch nicht in den Zimmern, die Holzdielen riechen noch frisch. Der gemeinnützige Beschäftigungsträger Arbeit und Lernen Hamburg hat das Haus mit 72 Beschäftigten, davon viele Langzeitarbeitslose, saniert. "Das Haus war vorher abbruchreif", brachte es Arbeitsamtsdirektor Rolf Steil auf den Punkt. Jetzt sind die Wände weiß, die Treppe knarrt nicht mehr, und auch die Toiletten sind modern und noch ohne Kritzeleien. Was wird wohl zuerst dort stehen? Vielleicht "Cybergirl grüßt www.netlove.de". Oder doch "Nadine liebt Marcus"?
"Weißt du noch, damals?" fragt Pia Sophie und weiß, dass das eigentlich noch gar nicht so lange her ist. Sie ist 17, Schülerin des Albrecht-Thaer Gymnasiums und schenkt Sekt für die Gäste der feierlichen Übergabe aus. Sie kichert und stupst Jody an. In der fünften Klasse war auch sie hier, eine Woche lang. "Weißt du noch, das Theater mit den Liebesbriefen?" fragt sie. "Fährst du mit mir ins Grüne?" haben sie gespielt, hier oben in den Zimmern unterm Dach. Ein Spiel, das heute vielleicht einen anderen Namen hat als früher, aber bei dem es auch nur darum geht, einen Grund zu finden, um einen Jungen zu küssen. Manche Dinge ändern sich eben nie. Auch in Schullandheimen nicht.
© »Die Welt« 29.9.2000
Reethaus 'Grootdör' | Reethaus Seitenansicht | im Gespräch |
---|---|---|
![]() | ![]() | ![]() |